„Wer nicht mitkommt, hat Pech gehabt“: Mit deutlichen Worten umreißt Philipp Weinel die hohe Selbstverantwortung, die ein Studium von Abiturienten verlangt. Der junge Mann studiert Wirtschaftswissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt und gehörte zu den ehemaligen Schülern der Beruflichen Schulen (BSGG), die neben Vertretern aus Unternehmen und von Hochschulen dazu beitrugen, Einblick in das zu geben, was aufs Abitur folgt. Derzeit im vierten Semester, ist Weinel der Einladung von Susanne Viebrock, Fachleiterin Mathematik der BSGG, gern gefolgt, Schülern der zwölften Klassen von seinen Erfahrungen zu berichten. „600 Leute im Uni-Hörsaal – das ist normal“, skizzierte er das Ambiente, in dem Studierende vieler Nationalitäten zusammentreffen.
Abiturienten erfahren, was auf sie zukommt
„Wenn du morgens nicht erscheinst, fragt keiner danach. Das heißt, dass es deine Verantwortung ist, ob du den Stundenplan, den du dir selbst zusammenstellst, einhältst oder nicht“, führte Weinel aus. Wer aus den Worten allein die lockend große Freiheit heraushörte, übersah die unabdingbare Fähigkeit zur Selbstorganisation: „Du kannst faulenzen, wenn du willst und das Studium wäre so wie Arbeitslosigkeit. Wann und wie du lernst – liegt an dir selbst. Pro Semester stehen aber Prüfungen an, und die Verarbeitung des Lernstoffs muss jeder allein leisten“, so Weinel.
Viebrock, die die Orientierungswoche für angehende Abiturienten organisiert, sagte: „Junge Leute werden in der Schule noch sehr betüddelt. Von den ehemaligen Schülern erfahren sie jetzt, was auf sie zukommt. Das ist sinnvoll, hat bei vielen einen Aufwacheffekt.“
Toni Liebchen-Hueg, Maschinenbaustudent der Hochschule Darmstadt, beschrieb seinen Weg zum Studium kurvenreicher: Nach der Fachoberschule in Erfurt schloss er eine Lehre als Anlagemechaniker an, bevor er von Sachsen-Anhalt nach Hessen kam, um ein Studium draufzusatteln: Dass persönliche Reife auch durch das Loslösen aus heimatlichen Gefilden wächst, wurde damit betont. Zugleich bestätigte er Weinels Erfahrung: „Du musst dich selbst organisieren, sonst gehst du baden.“ Gefragt, wie hoch die Quote der Studienabbrecher sei, sagte er: „Sie liegt bei 30 bis 40 Prozent.“
Interessant waren auch Referate von Doktoranden und Hochschulprofessoren: Wirtschaftsingenieurin Jasmin Bumanowski von der Technischen Universität Darmstadt machte speziell jungen Frauen Mut, sich im Bereich Technik mehr zuzutrauen. BSGG-Schülerin Meike Hendel (18), die überlegt, Biologie oder Wirtschaft zu studieren, verfolgte das aufmerksam. „Es ist interessant, was aus Studium und Berufen erzählt wird. Ich denke, die BSGG bereiten uns durch die Ausrichtung auf die Praxis gut vor. Im Leistungskurs Wirtschaft lernen wir auch Statistik und Rechnungswesen. Dennoch: Uni ist was anderes. Man braucht Eigenmotivation.“
Unter dem Titel „Viele Weg führen nach Rom“ berichtete die ehemalige BSGG-Schülerin Katharina Stolz (21) davon, dass nicht immer das Studium der Weg zu Glück und Erfolg sein muss: „Als ich vorm Abitur stand, wusste ich genauso wie ihr nicht wirklich, was ich machen soll. Ausbildung, Studium, duales Studium, Ausland oder ins familieneigene Unternehmen?“ Es war kein Studium, sondern eine solide Berufsausbildung in einem Unternehmen, die Katharina Stolz letztlich in den familieneigenen Getränkefachgroßhandel zurückführte. Dort begann sie parallel ein berufsbegleitendes BWL-Studium.
„Eine Ausbildung ist kein schlechter Weg und kann auch in einem eher kleinen Unternehmen fordernd und interessant sein kann. Jeder muss herausfinden, was für ihn der passende Weg nach Rom ist“, meinte sie.
Groß-Gerauer Echo, 30.06.2017, von Charlotte Martin