Verzweiflung auf dem Hochhausdach

Schüler der Beruflichen Schulen beeindrucken mit ihrer Inszenierung von „A Long Way Down"

GROSS-GERAU. Vier Menschen mit Selbstmordabsichten treffen zufällig auf einem Hochhausdach aufeinander. Darum ging es in dem Stück „A Long Way Down“, das die Theater-AG der Beruflichen Schulen Groß-Gerau in der Aula der Martin-Buber-Schule zeigte.

Die Literaturgrundlage für die Inszenierungen der Theater-AG wird von den Schülern selbst ausgewählt, erzählte Lehrerin Christine Bernd, während das Publikum in die Aula strömte. Das Thema der diesjährigen Aufführung stellt die Frage nach dem Sinn des Lebens.

Sechs Schüler zwischen 17 und 21 Jahren aus dem gymnasialen Schulzweig haben unter Anleitung von Christine Bernd und ihrem Kollegen Hartmut Damm eine ebenso packende wie groteske Aufführung entwickelt. Theatralische Elemente wurden mit Komik vermittelt, was dem Zuschauer eine Distanz ermöglichte. „Entstanden ist die Textbearbeitung sowie die Entwicklung der Charaktere aus Improvisationstheater. Das verleiht der Darstellung der ungleichen Typen Glaubwürdigkeit“, beschrieb Christine Bernd.

In der tristen Kulisse treffen vier Menschen aufeinander, die nicht weiter wissen. Der Sprung in die Tiefe soll sie befreien aus einem „verfickten Leben“, wie die ebenso sensible wie ruppige Jess (Jasmin Werner) es formuliert. Die strahlend schöne Lucie (Frauke Langer) hoffte auf eine Schauspielkarriere und sieht ihre Illusionen geplatzt, die schüchterne Maureen, hervorragend dargestellt von Schülerin Jana Förster, kann das Leid ihres behinderten Sohnes nicht mehr ertragen kann, und der charismatische Martin (Joschua Beck) steht nach öffentlichem Skandal vor dem privaten und beruflichen Aus. Die vier Selbstmordkandidaten haben nichts gemeinsam als den Lebensüberdruss. Markant werden die Charaktere unterstrichen – Körperhaltung, Sprachduktus und Mimik gelingen ausgezeichnet.

Dem tödlichen Sprung versuchen zwei Engel entgegen zu wirken: Julia Giebelhausen und Annika Langer richten ihre Fernrohre aufs Hochhausdach und streuen den Flitter des Glücks über die Verzweifelten aus. Ein Fitzelchen Hoffnung streift die Herzen, sodass im Spiel des Lebens eine letzte Frist gewagt wird: Ab in den Urlaub. Mit diesem Kunstgriff nimmt die Inszenierung Tempo auf. Amüsant, wie die vier Protagonisten, ausgestattet mit Rollkoffer, Sonnenhüten und nonchalanten Brillen, gen Süden ziehen. Musik aus dem Off („Schön ist es auf der Welt zu sein“) treibt die Szene plötzlich ins Makabere. Im Publikum kommt sogar Lachen auf.

Doch die flüchtige Euphorie verraucht. Die freundlichen Engel setzen erneut auf himmlische Kräfte, skizzieren mittels Livekamera naive Bilder möglicher Lebensfreude, doch weder stellt sich Martins Eheglück wieder ein, noch kann sich Jess mit ihrem materialistischen Vater aussöhnen.

Auch Maureen bleibt sorgenbeschwert, Lucie ein namenloses Sternchen im Showbusiness. Der businesserprobte Martin katapultiert die gemeinsame Not auf die Ebene des Medienspektakels: Kamerateams rücken an, um den Vierfachselbstmord zu filmen. Springen oder nicht springen, lautet jetzt die Frage. Als sei das Leben eine hanebüchene Quizshow, lässt die Regie das Publikum abstimmen.

Bravorufe, lang anhaltender Applaus würdigen Darstellung und Regie dieses beeindruckenden Schülertheaters.

Groß-Gerauer Echo, 8. März 2012, lot

Bilder der Proben

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