Von Gier und Verletzlichkeit

Theater-AG der Beruflichen Schulen spielt „Kopfgeld“ nach Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“

GROSS-GERAU. Ein Theaterbesuch und das Mitfiebern bei der Fußball-Europameisterschaft müssen sich nicht zwangsläufig ausschließen. Dies bewies die Theater-AG der Beruflichen Schulen Groß-Gerau am Montag- und Dienstagabend. Die freie Bearbeitung von Friedrich Dürrenmatts tragischer Komödie „Der Besuch der alten Dame“ aus dem Jahre 1955 geriet zu einer auf 45 Minuten eingedampften und flotten Inszenierung, deren Titel „Kopfgeld“ die Handlung unmissverständlich auf den Punkt bringt.

Die einst wegen eines unehelichen Kindes mit Schimpf und Schande aus dem Städtchen Güllen vertriebene Claire Zachanassian kehrt als Milliardärin dorthin zurück, um endlich Gerechtigkeit zu erfahren und bittere Rache an ihrer Jugendliebe Alfred III zu nehmen. Sie verspricht dem finanziell von ihr ausgetrockneten Städtchen eine Finanzspritze von einer Milliarde, wenn jemand III tötet. Vom Hotel aus verfolgt sie mit Genugtuung den allmählichen Wandel der anfänglichen moralischen Vorbehalte, dessen sichtbares Zeichen das Auftauchen von Luxusgegenständen ist.

Auf Wunsch der Schauspieler entwickelte die Theater-AG innerhalb eines Jahres eine in moderne Sprache transponierte Fassung des Stückes. Vor allem die Themenkreise Gier und Verletztheit interessierten dabei die jungen Leute, so die Leiterin der Theater-AG, Christine Bernd. Diese Themen übersetzten sie aus der Zeit des Wirtschaftswunders und der damals noch traditionellen Frauenrolle in die heutige Zeit.

Nicht angestrengt modern, sondern die Räumlichkeiten optimal nutzend war die Platzierung des etwa 60 Personen umfassenden Premierenpublikums. Auf lose im Raum verteilten Hockern konnte der Zuschauer sich jeweils in die Richtung drehen, wo gerade gespielt wurde.

Vor allem die Ausleuchtung des Treppenabsatzes am Kopf des länglichen Raums und von zwei erhöht stehenden Podesten an den Seiten stellten hohe technische Anforderungen an den von Markus Engel verantworteten Einsatz von Licht- und Tonanlage. Doch auch zwischen den Zuschauern bewegten sich die sieben Darsteller raumfüllend und souverän und erzielten schöne stimmliche Effekte im Raum. Zwar waren die Zuschauer nicht aktiv gefordert, nur einmal musste sich ein Mann die Frage stellvertretend für alle gefallen lassen, ob er sich in jungen Jahren wirklich mit einem Kind belastet hätte.

Rukiye Kocbay gab eine mondäne Claire Zachanassian, die ihre scheinbare Abgeklärtheit durch ein neckisches Kopf-in-den-Nacken-Werfen unterstrich. Christopher Marx als Jugendliebe Alfred III glänzte mit der Intensität seiner Körpersprache. Svenja Scheiber, Miriam Keil, Kerstin Hahn, Michael Heil und Winifred Oforiwaa-Amanfo füllten zum Teil mehrere Rollen aus.

Ideen in der Personenführung und zur Inszenierung hatten Christine Bernd und Hartmut Damm, wie den Einsatz von Bierkästen, die aufeinandergestapelt als flexible Requisite fungierten. Eine von den Bewohnern Güllens aus ihnen errichtete Mauer erschlägt und begräbt schließlich den einst schuldig gewordenen Alfred III.

ecl, 21.6.2008, Groß-Gerauer Echo

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