Wissen auffrischen, Horizont erweitern

Die Landesstelle für Technologiefortbildung arbeitet mit Partnern aus der ganzen Welt zusammen

Teilnehmer aus mehr als 100 Ländern der Welt haben sich bereits in der Landesstelle für Technologiefortbildung, die in den Beruflichen Schulen Groß-Gerau angesiedelt ist, weitergebildet. Derzeit sind zum Beispiel Schüler aus Pakistan da. Zubair Hashmi (vorn) wertete vor ein paar Tagem im Unterricht bei Thorsten Weinerth Ergebnisse eines Steuergeräts aus. Foto: Alexander Heimann/Vollformat

GROSS-GERAU - Schüler aus aller Welt bilden sich in Groß-Gerau fort. Sie absolvieren dort technische, pädagogische und berufspraktische Trainings.

Ein Klassenraum in den Beruflichen Schulen, Gebäude B, zweiter Stock. Eine Gruppe erwachsener Ägypter beschäftigt sich zusammen mit Lehrer Dieter Lamm mit erneuerbaren Energien. Beispiel Fotovoltaik: Sind dachintegrierte Anlagen möglich und sinnvoll? Halten die Solarzellen direkt auf Ziegeln? Funktioniert die Technik mit dem Material, das in Ägypten auf dem Markt ist? Wie wirken sich die Temperatureinflüsse in dem heißen Land aus?

Nebenan befasst sich Uwe Graune mit einer Gruppe aus Nigeria mit Qualitätsmanagement und Pädagogik. Dabei kommt ein in der Schweiz entwickeltes Modell zur Sprache, das zum Beispiel auf Individualfeedback in Schulen setzt.

Auf der anderen Seite des Flurs sitzen sechs Männer aus Pakistan – drei aus Industriebetrieben und drei von staatlichen Schulen – und lernen unter der Anleitung von Thorsten Wei- nerth Neues über die speicherprogrammierbare Steuerung. Ihr Thema: Automatisierungssysteme.

Alle Schüler sind hoch motiviert, erklärt Wolfgang Siegel, Abteilungsleiter bei der Hessischen Landesstelle für Technologiefortbildung (HLT) in Groß-Gerau, „da fällt die Pause schon mal aus“. Sie absolvieren mehrwöchige Programme in Groß-Gerau, zu denen auch Exkursionen und Ausflüge, wie zum Beispiel ein Wochenende in Berlin, gehören. Untergebracht sind die Teilnehmer der Fortbildungen im Gästehaus der HLT in der Berliner Straße, wo es außer den Zimmern Seminarräume, mehrere Kochstellen und Freizeitmöglichkeiten wie Tischfußball und Billard gibt.

Früher dauerten die Programme länger, weiß Wolfgang Siegel. Da erstreckte sich das Lernen für die Gäste aus aller Welt schon mal über zwei Jahre. Aktuell dauern die Kurse ein bis zwei Wochen, einen oder zwei Monate. Maximal zwölf Teilnehmer gibt es pro Programm. Auf die eingangs beschriebenen drei Parallelgruppen folgen in den nächsten Monaten lernbegierige Gäste aus China („Die Chinesen buchen früh und gleich Termine fürs ganze Jahr“, so Siegel), Pakistan, Botswana und Vietnam. Unterrichtssprache ist oft Englisch, aber es helfen auch Dolmetscher.

Vier große Blöcke sind im Angebot des HLT: Erneuerbare Energie und Umwelttechnik, IT-Systeme und E-Learning, Automatisierungs- und Elektrotechnik sowie Bildungsmanagement und Studienreisen. Die erwachsenen Schüler sind selbst Lehrer, Abteilungsleiter, Ausbildungs- oder Schulleiter, berichtet Wolfgang Siegel. Auf Englisch heißen sie lecturer, instructor, trainer oder director. Die Abschlüsse (darunter Bachelor, Master und Doktor) seien angesichts unterschiedlicher Strukturen in den Ländern allerdings nicht mit denen in Deutschland vergleichbar.

Es geht immer um Berufsbildung. Dabei bekommen die ausländischen Gäste zum Beispiel Einblick ins duale Ausbildungssystem, das eine Spezialität Deutschlands ist, oder in Prüfungsabläufe und die Arbeit von Handwerkskammern. „Es geht aber nicht darum, ein System ein zu eins zu kopieren“, betont der HLT-Abteilungsleiter. „Das Duale System lässt sich nicht über Nacht in einem Land einführen.“ Allein schon, weil staatliche oder kirchliche Berufsbildungseinrichtungen in den Partnerländern getrennt von den dortigen Betrieben arbeiteten. „Aber es lassen sich bestimmte Elemente von hier an das jeweils örtliche System anpassen.“ Inwieweit das gelingt, schauen sich die Lehrer hin und wieder selbst in den Herkunftsländern ihrer Schüler an. Auch solche Fahrten gehören „zur Sicherung der Nachhaltigkeit“, wie Uwe Graune sagt, zur Nachbereitung der Fortbildungen dazu.

Seit 1968, als die HLT ihren Anfang nahm, waren rund 2800 Programmteilnehmer aus der ganzen Welt zur Fortbildung in Groß-Gerau, erzählt Wolfgang Siegel nicht ohne Stolz. Aus insgesamt 110 Ländern stammten sie. Und viele Teilnehmer, „die vor 20 Jahren mal hier waren, leiten nun zum Beispiel in Vietnam ein Berufsbildungszentrum“.

Viele der HLT-Lehrer haben ein Ingenieurstudium hinter sich und zusätzlich ein Aufbaustudium Lehramt oder eine Berufsausbildung vorzuweisen. Alle sind Lehrer der Beruflichen Schulen Groß-Gerau (BSGG) und an die Dienststelle HLT abgeordnet. Die Leitung des HLT liegt bei BSGG-Leiter Martin Gonnermann.

Partner der Fortbildungsstelle ist die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Eschborn, die auch Regionalbüros hat. Über die GIZ kommen die Kontakte zu den Schülern aus aller Welt zustande. Manchmal gibt es auch direkte Verbindungen zu GIZ-Büros ins Ausland, zum Beispiel nach Gaza.

 

NATIONAL UND INTERNATIONAL TÄTIG

Die HLT gibt es seit 1968. Sie ist eine Einrichtung des Hessischen Kultusministeriums. Finanziert wird sie vom Land Hessen.

Anfangs war die Einrichtung noch in vier Bundesländern (Hessen, Baden-Württemberg, Berlin und Nordrhein-Westfalen) vertreten, sagt Abteilungsleiter Wolfgang Siegel. Sie hatte zunächst den Schwerpunkt Elektrotechnik und hieß Landesstelle Hessen für gewerbliche Berufsförderung in Entwicklungsländern. Daraus sind heute Partnerländer geworden.

Im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit bietet die Landesstelle Fortbildungen für Fach- und Führungskräfte aus dem Berufsbildungsbereich in den Fachrichtungen Elektrotechnik, Informations- und Kommunikationstechnologie, Bildungsmanagement sowie Erneuerbare Energien und Umwelttechnik an.

Ziel der Landesstellenarbeit sind der Aufbau effektiver Berufsbildungssysteme sowie die Verbesserung bereits bestehender Angebote in den Partnerländern. Die Fortbildungen sind in den Räumen der Beruflichen Schulen, wo sich auch die Verwaltung der HLT befindet. Für die internationalen Programme gibt es 8,5 Planstellen in Groß-Gerau, so Siegel.

Der neue Name sei der Landesstelle für Technologiefortbildung 2010/11 gegeben worden, als die hessische Fortbildung dazukam. Denn sie bietet auch Weiterbildung für hessische Lehrer an. Die Schulungen sind hessenweit in Fach- und Seminarräumen von Beruflichen Schulen oder direkt in Schulungsräumen der Kooperationspartner aus der Wirtschaft.

 

Groß-Gerauer Echo, 10.02.2016, Von Angelica Taubel

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